Fast jeder, der versucht sich zu verändern, kommt schnell an Grenzen. Es fängt bei Silvestervorsätzen an, die sich schon im Februar erledigt haben und endet bei Persönlichkeitsseminaren, die langfristig keine wirklichen Veränderungen hervorbringen.

Es ist hilfreich, die Funktionsweise des Gehirns zumindest ansatzweise zu verstehen, um dauerhafte Verhaltensveränderungen bewirken zu können. Wenn ich beispielsweise weiß, dass mein Gehirn viel lieber auf bereits vorhandene und teils bereits in der Kindheit angelegte neuronale Netzwerke zurückgreift, anstatt neue Erfahrungen zu machen, frage ich mich, ob diese gespeicherten Erfahrungen meiner jetzigen Lebenssituation überhaupt noch entsprechen. Ich glaube und lebe nach Erfahrungen, die für mich vielleicht gar nicht mehr stimmig sind. Und warum? Aus Gewohnheit. Weil ich es nicht besser weiß. Weil ich meinen Gedanken bedingungslos glaube. Doch was ist ein Gedanke, was ist überhaupt das Denken? Wikipedia sagt, ein Gedanke ist, was gedacht worden ist oder das Denken an etwas, eine Meinung, eine Idee, ein Einfall; ein Ergebnis und eine Grundkomponente im Prozess des Denkens. Ein Neurowissenschaftler würde vermutlich sagen, dass ein Gedanke eine neuronale Repräsentation im Gehirn ist, dass sich als Aktivitätsmuster zeigt.

Um gleiche Gedanken zu haben, müssten Personen demnach ein ähnliches Aktivitätsmuster haben.

Unser Gehirn ist ein faszinierendes, einzigartiges Organ. Mit seinen ca. 1300 g wiegt es wenig, angesichts dessen, was es alles für unseren Körper leistet. Das Gehirn benötigt 20 % unserer täglich  zur Verfügung stehenden Energie. Es besteht zu 75 bis 80 % aus Wasser.  Das Gehirn interagiert permanent mit Körper und Umwelt und verarbeitet die empfangenen Signale.

Es ist überaus wichtig zu verstehen, dass unser Gehirn möglichst effektiv arbeiten und soviel Energie wie möglich einsparen will. Daher denken wir am liebsten in gut ausgebauten Denkautobahnen, die zum großen Teil auf Erfahrungen der Vergangenheit beruhen, mit unserer derzeitigen Lebenssituation jedoch vielleicht gar nichts mehr zu tun haben.

Die Wissenschaft ist noch immer weit davon entfernt, die Funktionsweise des Gehirns in seiner gesamten Komplexität zu erfassen.

Ein kurzer Blick in das Gehirn:
Wäre unser Schädel aus Glas, würden wir auf eine gräuliche zerfurchte Masse schauen; das Großhirn. Das Großhirn ist durch einen Balken in die rechte und linke Gehirnhälfte unterteilt. Die Großhirnrinde ist die ca. zwei bis fünf Millimeter dicke äußere Schicht des Großhirns. Die Großhirnrinde wird unterteilt in verschiedene  Regionen. Der stammesgeschichtlich jüngste Teil ist der sogenannte Neocortex. Neben Funktionen wie Sprachverarbeitung und Sprachproduktion befähigt uns der Neocortex bewusst über unser Verhalten zu entscheiden. Er ist der Sitz des bewussten Ichs.

Der präfrontale Cortex, der Stirnlappen, ist ein wichtiger Teil des Neocortex. Er dient dem logischen Denken, der Selbstreflexion und dem Steuern von Aufmerksamkeit. Was so lapidar klingt, ist eine mächtige Kraft, nämlich die menschliche Fähigkeit zu fokussieren, also Aufmerksamkeit auf etwas richten. Fokussierung verbraucht jedoch viel Energie, ein Zustand, den unser Gehirn evolutionär möglichst vermeidet. Es schaltet lieber im Energiesparmodus und benutzt dazu die erprobten neuronalen Datenautobahnen. Unser Gehirn liebt Routine und es kostet Anstrengung, Wiederholung und zusätzliche Energie, um es neu zu programmieren.

Eine der wichtigsten Aufgaben des präfrontalen Cortex ist es, die Signale, die von der Amygdala, unserem Angstzentrum, im limbischen System ausgesandt werden, zu regulieren. In ihrem Buch „10 achtsame Minuten für stressfreie und ausgeglichene Kinder“ bezeichnet Goldie Hawn den präfrontalen Cortex als „weise alte Eule“. Die weise alte Eule trifft gute, durchdachte und logische Entscheidungen, sorgt dafür, dass Gefühle nicht die Oberhand gewinnen.

Der präfrontale Cortex ist der Gehirnteil, der durch praktizierte Achtsamkeit, Entspannungsübungen und Meditation besonders gestärkt werden kann.

Der unter dem Neocortex liegende Gehirnteil, das limbische Gehirn, ist ein sehr alter Teil unseres Gehirns. Das limbische Gehirn hat vielfältige Aufgaben. Es steuert z.B. unsere Motivation, unsere Emotionen, unser Gedächtnis, unsere Triebe, unsere Verdauung und verarbeitet Sinneseindrücke und Reize, die von außen auf uns einströmen. Das limbische System speichert die mit Erinnerungen verbundenen Emotionen ab, die zu unseren Gedanken und dann zu unseren Erfahrungen werden. Man kann also sagen: aus Emotionen werden Gedanken und aus Gedanken Erfahrungen.

Um es mit den Worten des Neurowissenschaftlers Dr. Joe Dispenza zu sagen: „Je öfter wir dieselben Gedanken haben, die dann zur Ausschüttung derselben Chemikalien führen, was dieselben Gefühle nach sich zieht, desto stärker werden wir auch körperlich von unseren Gedanken geprägt. Unser Seinszustand hängt davon ab, was wir denken und fühlen.“

Das limbische Gehirn wird auch emotionales Gehirn genannt, da es ist für die Entstehung von Gefühlen aber auch das Auslösen von Stressreaktionen zuständig ist.

Ein Teil des limbischen Systems ist der Hippocampus. Er wacht darüber, welche Informationen in unser Gedächtnis gelangen und dort als Erfahrung und Erinnerung abgespeichert werden. Das Abspeichern derartiger Ereignisse soll uns in der Zukunft das Einschätzen ähnlicher Situationen ermöglichen. Da unser Gehirn nicht gerne unnötige Energie verbraucht, tendiert es dazu, immer gleichbleibend einzuschätzen, zu entscheiden und zu reagieren.

Ebenfalls im limbischen Gehirn sitzt die bereits erwähnte Amygdala, auch Mandelkern genannt, da sie die Form einer Mandel hat. Die Amygdala bestimmt darüber, ob eine Situation als bedrohlich empfunden wird oder eben nicht. Die Amygdala entscheidet dies, indem sie die empfangenen Signale mit emotionaler Bedeutung verknüpft. Wenn die Amygdala entscheidet: Gefahr, werden u.a. die Stresshormone Adrenalin und Kortisol sowie Glukose für die Funktionsfähigkeit der Muskeln ausgeschüttet. Der gesamte Körper befindet sich jetzt im Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus. Die Amygdala kann die Gefahrenlage aufgrund der Signale des Körpers allerdings falsch deuten.  Dann wird plötzlich der Chef, der ungeliebte Kollege, der Nachbar oder Partner zum Säbelzahntiger und unser Gehirn signalisiert Flucht, Erstarrung oder Angriff.

Entscheidet die Amygdala dagegen: alles gut, keine Gefahr, dann ist der Weg für die Informationen zum präfrontalen Kortex frei. Der präfrontale Kortex beobachtet und analysiert nun die Informationen und reguliert die Signale, die er von der Amygdala bekommt.

Die gute Nachricht ist: Man kann die Amygdala trainieren.

Der biologisch älteste Teil ist der Hirnstamm oder auch Reptiliengehirn. Es steuert unsere Instinkte und Reflexe und reguliert grundlegende lebensnotwendige physiologische Vorgänge; z.B. Fortpflanzung, Blutdruck, Verdauung, Atmung. Auch überlebenswichtige Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Schlaf werden durch dieses Areal gesteuert. Auf das Reptiliengehirn haben wir Menschen keinen Einfluss. Es wird vom Unterbewusstsein gesteuert und ist sogar aktiv, wenn der Mensch im Koma liegt.

Auf die Funktion unseres Gehirns haben noch eine Vielzahl weiterer Gehirnareale entscheidenden Einfluss, bspw. das Kleinhirn, das Mittelhirn usw. Die Arbeit des Gehirns in seiner Gänze zu beleuchten, sprengt jedoch den Rahmen dieses Beitrags.

Wichtig ist es zu verstehen, dass unser Gehirn die Fähigkeit besitzt sich zu verändern. Denkt man nur an Schlaganfallpatienten, die durch Lernen und Wiederholen bestimmter Übungsabläufe deutliche motorische und auch kognitive Verbesserungen erzielen, bis hin zur vollständigen Heilung.

Diese Fähigkeit des Gehirns, sich kontinuierlich zu verändern, heißt Neuroplastizität. Durch neue Informationen und Reize werden im Gehirn durch Wiederholung neue neuronale Verbindungen,  Synapsen genannt, aufgebaut und alte Muster überlagert.

Das Etablieren neuer Gewohnheiten bedarf Übung und Willenskraft. „Das Geheimnis der Veränderung besteht darin, deine ganze Energie darauf zu konzentrieren, Neues aufzubauen, statt Altes zu bekämpfen.“ (Sokrates)

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